Porträt Timo Bracht

Ironman-Sieger verrät Siebtklässlern Tricks

Der Sportstar Timo Bracht und Werkrealschüler der Pestalozzischule spüren dem Geheimnis der Motivation nach.

Von Inge Jacobs | STUTTGARTER ZEITUNG Dienstag, 27. April 2021 | Nr. 96

Ihre Schule kennen die Siebtklässler der Pestalozzischule in Stuttgart-Vaihingen nur noch aus der Erinnerung. Seit Mitte Dezember haben sie dort keinen Unterricht mehr. Fernlernen hat ihre Motivation auch nicht gerade gefördert. Auch sonst ist in Coronazeiten nicht viel los. Und nun das! Ein echter Sportstar sucht das Gespräch mit ihnen.

Timo Bracht, bis vor Kurzem Profi-Triathlet, der neunmal Sieger beim Ironman war und dreimal Europameister, will den Schülern ein paar Tricks aus seiner Motivationskiste zeigen. Zwar nicht in echt, aber, wie sich herausstellt, geht das auch in Form einer Videokonferenz ganz gut. Die Online-Lernplattform Moodle macht’s möglich. Und Siegerfeeling könnten auch die Werkrealschüler gut brauchen.

Doch wie kommt man dahin? Es ist eine Annäherung. Moderiert wird sie vom Erlebnispädagogen und Prozesstrainer Marcus Weber von der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft und seiner Kollegin Laura Hübsch vom Sportkreis Stuttgart, die miteinander das erlebnispädagogische Programm move&do wuppen, das auch von der Sportstiftung Laureus unterstützt wird.

Normalerweise sind Aktionen wie Hüttentouren durch die Alpen angesagt, gemeinsam wandern, einander helfen, durchhalten, ankommen. Das Ziel: junge Menschen in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken und ihre Sozialkompetenz zu fördern. Und so steigt Laura Hübsch erst mal ganz vorsichtig mit der Frage ein: „Was hat euch denn zuletzt glücklich gemacht?“ Schweigen. Doch dann fallen den Schülern schon ein paar Sachen ein: gute Noten, der eigene Geburtstag, mit dem Stiefvater draußen Fußball spielen. Per Chat statt mit Mikro läuft es gleich viel besser. „Dass ich wieder draußen war“, schreibt ein Schüler, das habe ihn glücklich gemacht.

Marcus Weber im Interview mit der Stuttgarter Zeitung„Wir vergessen viel zu schnell, was uns glücklich gemacht hat“, sagt Marcus Weber. Und man mache sich viel zu selten die eigenen Stärken klar. Mit dem Spiel „Ich packe meinen Koffer“ bringen er und Laura Hübsch die Schüler auf die richtige Spur. „In den Koffer packen wir natürlich das ein, was wir gut können“, sagt Weber. Aber auch das, woran jeder noch arbeiten müsse. Er könne gut Basketball spielen, sich aber schlecht konzentrieren, sagt ein Schüler.

Kaum vorstellbar, dass auch einer wie Timo Bracht Schwächen hat. Einer, der die Triathlon-Langdistanz in weniger als acht Stunden bewältigt hat, also 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren, 42 Kilometer Laufen – in dieser Reihenfolge. Und in vielen Ländern und Traumzielen dieser Welt. Auch auf Hawaii. Einen Eindruck davon – und Gänsehaut – bekommen die Siebtklässler durch einen eingespielten Film. „Triathlon bedeutet für mich alles“, sagt Bracht – „alles zu wagen und alles zu geben“. Dreimal am Tag zu duschen. Und: „Essen, essen, essen – auch Schrott.“ Eine ganze Tafel Schokolade – „kein Problem“. Der Trick: „Wenn du richtig gut werden willst, musst du üben, Leistung bringen, du musst dafür brennen.“ Aber: „Es gab auch Momente des Zweifels und Rückschläge“, räumt der Sportler ein, der seine Profikarriere 2017 beendet hat, nun 45 und immer noch blendend in Form ist. So habe ihm, noch in seiner aktiven Phase, der Sonnenbrillenhersteller den Werbevertrag gekündigt, weil ihm Brachts Gesicht nicht mehr passte. Doch das dürfe einen nicht drausbringen. Auch Verletzungen nicht. „Ich bin einfach drangeblieben, hab durchgehalten, hab immer wieder probiert“, sagt Bracht. Und trainiert. Die Schüler dürfen raten, wie viele Stunden pro Woche. Es waren 40.

„Trainieren Sie immer noch so viel?“, fragt ein Schüler. Bracht erklärt, jetzt sei es nur noch eine Stunde am Tag. Aber an seinen Schwächen arbeite er weiterhin: Zum Beispiel daran, „auch Dinge außerhalb vom Sport zum Abschluss zu bringen“. Ziele zu erreichen, etwa E-Gitarre zu spielen. Aber er habe auch „gemerkt, dass ich auch gut sprechen kann“, erzählt der Sportcrack – „so bin ich heute zu euch gekommen, als Botschafter von Laureus“. Einer Sportstiftung, die sich weltweit für benachteiligte Jugendliche einsetzt. Tatsächlich findet Timo Bracht, der gerade dabei ist, sein Magisterstudium in Sport und Erziehungswissenschaften an der Uni Heidelberg zu Ende zu bringen, schnell einen Draht zu den Schülern.

Und so erzählen diese schließlich freimütig von ihren Träumen – „ein schöner, guter Beruf, gut in der Schule sein, ein schönes Haus“. Und jetzt fällt ihnen auch ein, was sie gut können: „Reden kann ich gut“, meint ein Schüler, dessen erste Reaktion „keine Ahnung“ war. Und eine Mitschülerin nennt: „Gut Trampolin springen, zeichnen – ich kann gut auf Kinder aufpassen und mit Tieren umgehen.“ Ihre Wünsche: „Dass ich Erzieherin oder Tierpflegerin werde.“ Und wofür sie dankbar sei? Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Dass ich auf der Welt bin.“